Sozial-ökologische Transformationen hin zu größerer Nachhaltigkeit werden in Gesellschaft, Politik und Wissenschaft immer intensiver diskutiert, und zwar nicht nur in wissenschaftlichen Studien wie "Zukunftsfähiges Deutschland" oder dem WBGU-Gutachten zur "Großen Transformation", sondern auch in zahlreichen lokalen Transition-Town-Initiativen und ähnlichen Ansätzen. Die Diskussionen über Biodiversitätsverluste, Klimaschutz, Mobilitätswende und Postwachstumsgesellschaften sowie Bewegungen wie Fridays for Future und Extinction Rebellion haben dem Thema aktuell zu weiterer Aufmerksamkeit verholfen.
In Deutschland befindet sich der Naturschutz – und zwar naturschutzbezogene Politik und Verwaltung ebenso wie Naturschutzverbände und -forschung – traditionell in einem Zwiespalt: Auf der einen Seite wird Kritik geübt an technologischem Fortschritt, wirtschaftlich-industrieller Entwicklung und wachsendem Konsum samt den damit verbundenen negativen Effekten auf Natur und Landschaft. Und andererseits ist vielfach eine enge Verzahnung mit Staat, Unternehmen und einer "imperialen Lebensweise" zulasten von Menschen in anderen Erdgegenden zu beobachten.
Vor diesem Hintergrund soll in dem Workshop diskutiert werden, welche Chancen sich dem Naturschutz mit Blick auf die von vielen gewünschten Transformationen hin zu größerer Nachhaltigkeit bieten und welche Ansätze es bereits gibt. Es soll jedoch auch darum gehen, welche Erkenntnisse und Schlüsse die Transformations-Community aus den Erfahrungen von Naturschutz-Akteur*innen ziehen kann.
Im Einzelnen sollen unter anderem die folgenden Fragen erörtert werden:
Ziel ist es, Naturschutz- und Transformations-Akteur*innen aus Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wissenschaft miteinander in Dialog zu bringen. Zugleich bildet der Workshop den Abschluss des Forschungsprojekts Regieren mit 'Ökosystemleistungen': Veränderungen von Problematisierungen und Rationalitäten des Regierens in der deutschen Naturschutz- und Landschaftspflegepolitik, welches die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) von 2016 bis 2020 gefördert hat.
Personen aus Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wissenschaft, die sich mit Naturschutz und/oder sozial-ökologischen Transformationen beschäftigen und sich für mögliche Schnittstellen und Wechselwirkungen zwischen diesen beiden Handlungsfeldern interessieren.
9:30 Uhr
Begrüßung
Impulsvorträge mit Diskussion – Teil 1
Dr. Markus Leibenath (Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung – IÖR, Dresden)
Naturschutz, Ökonomie und sozial-ökologische Transformationen: Einführung in das Thema des Workshops
Kurzfassung
Ziel des Vortrags ist es, den Blick auf mögliche Berührungspunkte, Spannungen und Synergien zwischen Naturschutz und sozial-ökologischen Transformationen zu lenken. Dazu werden zunächst einige Entwicklungslinien des bundesdeutschen und internationalen Naturschutzes und seines Verhältnisses zu marktwirtschaftlichen, wachstumsorientierten Wirtschaftssystemen aufgezeigt. Im zweiten Schritt wird – ausgehend von der Diagnose multipler globaler Krisen – der Begriff der sozial-ökologischen Transformation und einiger damit verbundener Konzepte eingeführt, zum Beispiel Suffizienz, Degrowth und die so genannte Mehrebenen-Perspektive. Der Beitrag schließt mit einem vorläufigen Resümee und einigen Fragen, die im Laufe des Workshops diskutiert werden sollen.
Dr. Christine Katz (diversu e. V./ Leuphana-Universität Lüneburg)
Ist doch egal, wer die Kröten über die Straße trägt?! – Feministische Perspektiven auf Naturschutz und Nachhaltigkeit [ausgefallen]
Was hat Naturschutz mit Geschlechterfragen zu tun und warum ist es sinnvoll, feministische Perspektiven in das Handlungsfeld zu integrieren? Ich befasse mich mit diesen Fragen auf der Erkenntnisebene (Konzepte), der individuellen Ebene (Akteure, Menschen, Organismen) und der Strukturebene (Politik, Institutionen, Organisations-/ Machverhältnisse). Zum einen gebe ich Einblicke in die Genderkritik an den Verständnissen (Deutungen) von Natur, Naturschutz und Nachhaltigkeit. Zum anderen zeige ich beispielhaft auf, wo und wie in Naturschutz und Nachhaltigkeit Geschlechterbezüge machtvoll eingeschrieben sind und was das für die sozial-ökologische Transformation bedeutet. Genderforschung zu Naturschutz und Nachhaltigkeit verstehe ich als Verunsicherungswissenschaft mit politisch visionärem Potenzial. Sie hinterfragt Gewissheiten und Selbstverständlichkeiten, schärft den Blick für Ausgrenzungen und Abwertungen in der Naturgestaltung und eröffnet Möglichkeiten zu deren Überwindung.
Dr. Steffi Ober (Naturschutzbund Deutschland e.V. – NABU, Teamleiterin Ökonomie und Forschungspolitik, Berlin)
Nachhaltige Ökonomie – eine Herausforderung für einen traditionellen Naturschutzverband
Kurzfassung
Ökonomie und Naturschutz bieten sich auf den ersten Blick nicht gerade als natürliche Verbündete an. Doch die vorrangig technologisch-ökonomische Ausrichtung unserer Wissenschaft und Wirtschaft gefährdet immer mehr die Grundlagen unserer Existenz. Die Einhaltung der planetaren Grenzen ist die zentrale Voraussetzung, damit wir heute und in Zukunft leben können. Der Klimawandel und der Verlust der Biodiversität lassen keinen anderen Schluss zu – ohne einen grundlegenden Wandel der Ökonomie werden die sozialen und ökologischen Verwerfungen immer weiter zunehmen. Die klassischen und eher konservativen Akteure des Naturschutzes sehen teils skeptisch auf die Herausforderungen einer sozial-ökologischen Transformation. Doch ohne eine sozial-ökologische gesellschaftliche Transformation wird der Naturschutz immer mehr unter die Räder geraten. Deshalb ist der Naturschutz gefragt, sich aktiv in diese Diskussionen einzubringen.
11:00 Uhr
Kaffeepause
11:30 Uhr
Impulsvorträge mit Diskussion – Teil 2
Markus Kurth (IÖR, Dresden)
"Das hat mit Naturschutz nichts zu tun!" – Konflikte um Naturschutz und Wirtschaftsentwicklung am Beispiel der Tesla-Ansiedlung in Brandenburg
Kurzfassung
Ende 2019 wurde bekannt, dass die US-amerikanische Firma Tesla im brandenburgischen Grünheide eine neue Großfabrik für die Produktion von E-Autos errichten möchte. Obwohl der Standort bei Berlin keinen besonderen Naturschutz-Wert aufwies, wurden Klagen und Proteste gegen die mit dem Bau der Fabrik einhergehende Rodung eines 90-Hektar-Waldstückes auch im Namen des Naturschutzes geführt. Ein großer Teil der öffentlichen Stimmen – von den Grünen bis zu Wirtschaftsverbänden – stellte sich hingegen einhellig hinter die Tesla-Ansiedlung. Mithilfe einer grünen, klimaschonenden Wirtschaftsentwicklung, so das Argument, sollen Ökonomie und Ökologie versöhnt werden. Im Vortrag wird die Kon-troverse um das Tesla-Werk in ihrer Chronologie sowie ihren konkurrierenden Diskursen und Diskurskoalitionen vorgestellt. Es zeigt sich, dass sich das traditionell schwierige Verhältnis von Naturschutz und Industrie unter den Vorzeichen von Klimawandel und grüner Ökonomie weiter ausdifferenziert.
Magnus J. K. Wessel (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Bundesgeschäftsstelle Berlin)
Was wir vom Kakapo lernen können: Naturschutz in der Transformationsgesellschaft
Kurzfassung
Naturschutz ist ein idealer Sparringspartner und Treiber für sozial-ökologische Transformationen. Möglicherweise bietet er die unbestechlichste Messlatte wirklich nachhaltiger Zukunftslösungen. Naturschutz nimmt die Funktion des Gegenpols zum „Mehr“ ein, denn der Eigenwert der Natur bildet für viele Naturschützende in Deutschland emotional und faktisch eine Grenze menschlicher Tätigkeit. Generationengerechtigkeit bedeutet: was heute ausstirbt, kann morgen nicht genutzt werden. Aussterben zuzulassen ist also per se ungerecht. Gleichzeitig sind Menschen konsumierende Lebewesen. Nutzung ist immer auch das Ende von Natur. Naturschutz eröffnet durch seine spezifischen Ansätze und seine demokratische Legitimation einen emotional geprägten und zugleich rationalen Zugang zum eher intellektuellen Thema der Transformation. Es geht darum, praktische Zukunft zu formen – in Recht und Verwaltung genauso wie im individuellem Handeln. Und Naturschutz liefert Anschauungsmaterial für das, was passiert, wenn wir nicht handeln.
13:00 Uhr
Mittagspause
14:00 Uhr
Impulsvorträge mit Diskussion – Teil 3
Dr. Uta Eser (Büro für Umweltethik, Tübingen)
Von Dienstleistungen zu Beziehungen: Das Konzept des relationalen Werts und sein transformatives Potential
Kurzfassung
Für Karl Polanyi, auf den der Begriff "Great Transformation" zurückgeht, war die Verallgemeinerung des Marktprinzips die Ursache der Krisen des 20. Jahrhunderts. Die "Entbettung des Marktes aus der Gesellschaft" besteht darin, Arbeit und Boden als Waren zu behandeln, obwohl sie in soziale und ökologische Beziehungen eingebunden sind. Nimmt man Polanyis Kritik an der Marktgesellschaft ernst, dann gilt es, konzeptionelle Alternativen zu ökonomisch geprägten Begriffen wie Ökosystemdienstleistung zu finden. Das Konzept des relationalen Werts, das im Naturschutz seit jeher von besonderer Bedeutung ist und seit einigen Jahren im Zuge des IPBES-Prozesses eine bemerkenswerte Karriere erfährt, bietet eine solche Alternative. Es vermittelt zwischen dem rein instrumentellen Nutzwert der Natur und ihrem moralischen Selbstwert. Damit eröffnet es einen diskursiven (und praktischen) Raum für all das, was nicht zweckmäßig, aber dennoch sinnvoll ist.
Philipp P. Thapa (Universität Greifswald)
Ist Naturschutz utopisch? – Ökologischer Fortschritt und konservative Haltung
Kurzfassung
Mit guten Gründen lässt sich behaupten: Die beste Art von Naturschutz sei diejenige, die keine gesonderten Naturschutzmaßnahmen erfordert. Vielmehr solle die menschliche Gesellschaft sich so in die Biosphäre einfügen, dass sie von vornherein keinen Schaden anrichtet. Dieses Denkmuster, nämlich gesellschaftliche Übel schon im Entwurf zu vermeiden, ist charakteristisch für die utopische Tradition. Sie lebt unter anderem im Bemühen um eine nachhaltige Entwicklung oder, sprachlich deutlicher, einen sozialökologischen Umbau der Gesellschaft fort. Naturschutzinstitutionen aber haben nicht zwangsläufig ein Interesse daran, sich überflüssig zu machen. Und praktischer Naturschutz verträgt sich mit einem breiten Spektrum von politischen Ausrichtungen und Weltanschauungen. Der Vortrag steht daher vor dem Hintergrund der Frage, in welche Weltentwürfe sich der hergebrachte Naturschutz einfügt und was für Alternativen denkbar sind.
15:30 Uhr
Kaffeepause
15:45 Uhr
Gesamtdiskussion
16:30 Uhr
Schluss